• Familie,  Journalismus/Medien,  neugierig auf

    Bildungsfernsehen im Lockdown

    Das Bildungsangebot der öffentlich-rechtlichen Sender wird aufgrund des aktuellen Lockdowns gerade erweitert, um die Familien in der Krise zu unterstützen. Wie hilfreich ist das?

    Zu der Frage habe ich diese Woche einen Artikel bei Focus Online veröffentlicht, in dem ich mit Expert*innen und einem Schüler darüber spreche. Doch der Platz war kurz und ich habe noch viel zu sagen. Hier findet ihr deswegen nochmal meine ganz persönliche Sicht und Analyse zum Thema “Bildungsfernsehen”:

    Viele Kinder müssen gerade von zu Hause aus lernen. Deswegen sendet der Bildungskanal ARD-alpha zum Beispiel gerade vormittags drei Stunden das Programm „Schule daheim“, der Kinderkanal KiKa reagiert mit einer Sonderprogrammierung, das ZDF erweitert sein Angebot »Terra X plus Schule« in der Mediathek und auf YouTube. Die Frage, die mir als erste Reaktion durch den Kopf schoss, war: „Ihr erweitert das Fernsehprogramm – im Ernst? Wer guckt das?“ Bei „Schule daheim“ zum Beispiel gibt es an einem Vormittag erst Mathe für die Oberstufe, dann Englisch-Grammatik für die Mittelstufe und zum Schluss erfahre ich noch, wie archäologische Fundstücke geborgen werden. Für Familien, die auf die individuelle Lernsituation ihres Kindes eingehen wollen, ist es schwierig, vom ausgestrahlten Fernsehprogramm zu profitieren.

    Vormittags sitzen viele Kinder in Videokonferenzen oder müssen etwas für die Schule tun. Selbst wenn die Zeit für Bildungsfernsehen da wäre, muss der Inhalt im Fernsehen zufällig zu den Inhalten im Unterricht passen. Die unterschiedlichen Lehrpläne in den einzelnen Bundesländern sind dabei natürlich eine große Herausforderung, die auch nicht von einem Fernsehprogramm aufgefangen werden können. Aber selbst wenn die Lehrpläne in jedem Bundesland einheitlich wären, wäre es trotzdem nicht möglich, mit drei Stunden täglich sämtliche Altersklassen und Fächer auch nur annähernd abzudecken. Wirklich gut nutzen lässt sich das lineare Fernsehen nur, wenn es pädagogisch begleitet wird. Indem Eltern oder Lehrende zum Beispiel gezielt eine Sendung für ihr Kind heraussuchen und die am besten mit ihnen nachbereiten.

    Screenshot der ARD-Mediathek zum Thema Homeschooling (Screenshot: Sarah Kröger)

    Doch ARD und ZDF erweitern nicht nur das lineare Fernsehprogramm, sondern auch die Online-Angebote in den Mediatheken und auf YouTube. Das ist ein viel besserer Ansatz, denn so können Inhalte dann abgerufen werden, wenn sie gebraucht werden. Gerade Jugendliche suchen bei Recherchen für die Schule oft zuerst auf YouTube, da wäre es sinnvoll, wenn möglichst viele Bildungs-Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender auch dort zu finden wären.
    Die große Herausforderung ist jetzt aber, dass die sicherlich hochwertigen Angebote auch gefunden werden: Das virtuelle Klassenzimmer des ZDFs bot bis vor kurzem eine gut strukturierte Übersichtsseite, auf der zum Beispiel Videos für die Mittel- und Oberstufe nach einzelnen Fächern gesucht werden konnten. Nach Jahrgängen wurde hier aber nicht differenziert und so blieb bei vielen Videos die Frage, für welches Alter sie sich eignen. Aktuell ist der Link allerdings nicht mehr verfügbar. Auch im Bereich Zuhause lernen der ARD-Mediathek sind viele tolle Angebote zu finden – vorausgesetzt, man sucht sich etwas durch. Denn auch hier sind die Lernvideos teilweise nur nach Themen, aber nicht nach Alter sortiert oder nur mit vagen Altersangaben versehen (z.B. ab 7 Jahren, ab 11 Jahren). Am übersichtlichsten strukturiert finde ich noch die Schule Daheim Seite der BR-Mediathek.

    Screenshot der BBC Seite Bitesize (Screenshot: Sarah Kröger)

    Dass es auch anders geht, macht die BBC vor, die mit BBC Bitesize ein sehr gut strukturiertes Angebot präsentiert, das für jede Klasse und jedes Thema die unterschiedlichsten Videos bereithält.
    Wäre das nicht schön? So ein tolles, übersichtliches Angebot auch für Deutschland? Auf einer Seite?

     

    Screenshot der BBC-Webseite Bitesize (Screenshot: Sarh Kröger)

    Der Gedanke das Bildungsangebot in Zeiten des Lockdowns zu erweitern, ist also gut, aber es gibt noch viel Luft nach oben. Denn was nützt das schönste Angebot, wenn es nicht gefunden wird?

    Unter diesem Link findet ihr übrigens eine Übersicht aller Angebote der ARD, darunter auch viele Online-Angebote. Allerdings müsst ihr euch auch hier ein bisschen durchwühlen, es sind viele unterschiedliche Links zu ganz unterschiedlichen Themen. Aber wenn ihr den Beitrag bis hierher gelesen habt, dann schafft ihr sicherlich auch das 😉

  • Empfehlung,  Journalismus/Medien

    Divers und konstruktiv: So könnten Medien sein.

    Zwei Empfehlungen für alle, die “was mit Medien” machen oder gerne welche konsumieren.

    Alltagsrassismus in der Redaktion

    Was? Interview mit Nour Khelifi, einer freien Journalistin aus Österreich, die mittlerweile in Berlin lebt.
    Besonders spannend fand ich: Ich habe Nour Khelifi durch ein Live-Video der Neuen Deutschen Medienmacher*innen letztens auf Instagram entdeckt. Im Live-Video beschrieb sie, wie sie als junge Journalistin oft von den typischen Networking ausgeschlossen war, weil sie kein Alkohol trinkt. Im Interview auf YouTube erzählt sie, dass sie Alltagsrassismus zum ersten Mal richtig zu spüren bekam, als sie als Journalistin anfing. In nahezu jeder Redaktion, in der sie anfing, war sie die einzige mit Migrationshintergrund und für viele Kolleginnen und Kollegen die erste Muslima, mit der sie jemals persönlich geredet hatten. Muss dass der Normalzustand bleiben?

     

    Einseitige Berichterstattung

    Was? Keynote von Bastian Berbner im Rahmen des Constructive Journalism Day 2020.
    Besonders spannend fand ich: Wie viele Teenager-Schwangerschaften gibt es? Wieviel Prozent der Deutschen schätzen sich als glücklich ein? Die meisten Befragten verschätzen sich bei der Beantwortung dieser Fragen. Denn Medien berichten oft so lange über die negativen Ausnahmen in unserer Gesellschaft, bis die Ausnahme irgendwann für die Regel gehalten wird. Deswegen halten Menschen die Welt oft für schlechter und gefährlicher, als sie wirklich ist, meint Berbner in seinem Vortrag. Doch wie lässt sich das ändern? Er empfiehlt Medienschaffenden, sich folgende Frage öfter in der Berichterstattung zu stellen: Was können wir tun? (Beginn ab Minute 10)

     

  • Empfehlung,  Journalismus/Medien

    Im Grunde gut

    Ich habe gerade angefangen, das (schon jetzt sehr tolle) Buch des Journalisten und Historikers Rutger Bregmann “Im Grunde gut” zu lesen. Er fragt sich, warum so viele Menschen davon ausgehen, dass die Menschen grundsätzlich “egoistisch, panisch und agressiv” sind.

    Seiner Meinung nach hat das viel mit den Geschichten zu tun, die wir tagtäglich über die Medien erzählt bekommen. Damit bezieht er sich vor allem auf “News”  – die Berichterstattung über jüngste und sensationelle Ereignisse. Konstruktiven Journalismus, der hilft, die Welt besser zu verstehen, schließt er explizit aus. Auch Reality-TV-Formate, die davon leben, dass die Leute sich möglichst oft an die Gurgel gehen, prangert er an. Forscher hätten herausgefunden, dass Mädchen, die häufig Reality-TV schauen, eher der Meinung wären, dass man gemein und verlogen sein muss, um etwas zu erreichen.

    “‘Wer die Geschichten über eine Kultur erzählt’, sagte der Medienwissenschaftler George Gerbner einmal, ‘beherrscht das menschliche Verhalten.’ Kurz gesagt, es ist Zeit für eine andere Geschichte.”

    Das sehe ich auch so. Und bin schon ganz gespannt, wie es im Buch weitergeht.

  • Arbeit,  Journalismus/Medien

    Weiterbildungsberatungs-Satire

    Heute war ich auf der Suche nach Interviewpartner*innen zum Thema Weiterbildung. Ziemlich schnell hatte ich das Gefühl, ich bin in einer Real-Satire gelandet oder hätte aus Versehen im Kalender von Marc-Uwe-Kling mit den falsch zugeordneten Zitaten geblättert.

    Fragen wie: „Woran erkenne ich eine gute Qualität bei Weiterbildungen?“, „Wie kann ich seriöse von unseriösen Anbietern unterscheiden“ oder „Muss gute Weiterbildung teuer sein?“ wollte mir das Infotelefon zur Weiterbildungsberatung (Link nicht mehr existent, Anmerkung 04.01.2023) nach Rücksprache mit seiner Ansprechpartnerin beim BMBF nicht beantworten und lehnte ein Interview für einen meiner Auftraggeber ab. Argument: Neutralitätsgebot.  

    Die „kompetente Hilfe und Unterstützung“ in Sachen Weiterbildung, die auf der Webseite angeboten wird, beschränkt sich offensichtlich nur auf die Fragen: Wo finde ich Weiterbildungen? Welche passt fachlich zu mir? Ob die gefundene Weiterbildung dann überteuert ist oder grottenschlecht – egal. Ich verstehe durchaus, dass es nicht gewollt ist, einzelne Bildungs-Anbieter schlecht zu machen oder konkrete Empfehlungen abzugeben. Aber ich erwarte schon, dass mir eine Weitebildungsberatung grundsätzliche Qualitätskriterien an die Hand gibt. Damit ich nicht nur die passende Weiterbildung finde, sondern in dieser Weiterbildung auch etwas lerne. Oder was denkt ihr?

  • Empfehlung,  Journalismus/Medien

    Bücher die mich 2019 inspiriert haben – Teil 1

    Ich lese keine Krimis. Dieses ständige Gefühl der Spannung löst bei mir kein behagliches Kribbeln im Bauch aus, sondern strengt mich eher an und trägt nicht zur Erholung am Abend bei. Das Buch “Tausend Zeilen Lüge” vom Journalisten Juan Moreno habe ich dennoch verschlungen, wie einen spannenden Thriller.

    Als im Dezember 2018 der Spiegel-Skandal um den Reporter Claas Relotius öffentlich wurde, war das auch für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Wie konnte es dazu kommen, dass jemand jahrelang Geschichten erfindet, vom Hotel aus seine Reportagen schreibt, anstatt die Protagonisten einfach zu interviewen? Wie kann jemand nicht nur eine große Leserschaft, sondern auch ganze Redaktionen blenden?

    Juan Moreno, der den Skandal gegen viele Widerstände aufdeckte, gibt in seinem Buch auf diese Fragen Antworten und berichtet detailliert, wie es dazu kommen konnte. Natürlich aus seiner Perspektive, aber sehr bemüht, möglichst alle Seiten zu erklären und so fair wie möglich zu sein. Er schildert zum Beispiel, wie Claas Relotius von Anfang an seiner Karriere log – nicht erst später, als er schon einen Namen hatte und vielleicht unter Druck war, weiter gute Geschichten bringen zu müssen.

    Moreno ist sich sicher, dass die Spiegel-Redaktion sich hat betrügen lassen: „Passivsatz, nicht aktiv. Aber man ist auch verantwortlich für das, was man sich mit machen lässt.“ (S. 249)  Er schreibt auch, dass er deutlich länger mit einer Beschwerde gezögert hätte, wenn er gewusst hätte, wie beliebt Relotius im Gesellschaftsressort des Spiegels war. „Natürlich wäre es hübscher zu sagen, dass mir die Gefahr bewusst war, ich sie aber mutig in Kauf nahm. (…) Die Wahrheit ist aber, dass ich meinen Vorgesetzten wohl nicht angerufen hätte, wenn mir Relotius‘ Redaktionsstatus bekannt gewesen wäre.“ (S. 165)

    Moreno wurde im Dezember 2019 vom Medium Magazin zum Journalisten des Jahres gewählt. Im dortigen Interview betont er, dass die größte Gefahr nicht von Fälschern wie Relotius ausgeht, sondern von Sparmaßnahmen im Journalismus. Das macht er auch am Ende seines Buches nochmal deutlich: „Das wahre, das strukturelle Problem für einen unabhängigen, soliden Journalismus (…), ist die Bezahlung. Viele Journalisten können von ihrer Arbeit nicht leben.“ (S. 278)

    Fazit: Klare Lese-Empfehlung! Wer das Buch noch nicht gelesen hat, sollte es auf jeden Fall bald zur Hand nehmen.

    Anmerkung: Mir wurde für diesen Beitrag freundlicherweise das E-Book vom Rowohlt Verlag kostenfrei zur Verfügung gesteht.