Berlin

Der Kleingarten

Dass ich mal mich über den Brief eines Kleingartenvereins freuen würde, das hätte ich sehr lange nicht gedacht.
Nun ist es passiert. Wir hielten ihn in der Hand, den Brief, der besagte, dass die Parzelle 95 frei geworden sei. Bald darauf telefonierte ich mit einem stark sächselnden älteren Herrn und erfuhr, dass der Garten 250qm hat und wir, falls wir Interesse daran haben, uns beim nächsten Vereinstreffen erstmal dem Vorstand vorstellen müssen. „Das ist ein Casting der anderen Art“ erzählte mir Andy, der Vorbesitzer, am Telefon. Es ginge quasi darum, den älteren Herrschaften zu beweisen, dass man einen guten Garten führen kann. Heute fuhren wir also hin und schauten uns die Parzelle an. Es war schweinekalt, alles war grau und der Garten sah halt so sexy aus, wie Gärten im späten November aussehen. Aber ich, ich habe mich gefreut. Auf meinen Liegestuhl unter dem Apfelbaum im Spätsommer. Auf Kinder im Pool und im Sandkasten. Auf die Hängematte. Auf Himbeeren, Stachelbeeren und Pflaumen. Und auf ein ethnologisches Forschungsfeld, das bestimmt seinesgleichen sucht.

Noch bis vor ein paar Jahren bewirtschafteten vor allem ältere Damen und Herren die Schrebergärten. Gerade findet ein Generationswechsel statt, die Älteren geben ihre Gärten auf und junge Familien übernehmen. Das sorgt wohl für allerhand Konflikte, erzählt Andy. Denn die Familien nutzen den Garten vor allem, um ihre Kinder im Swimmingpool toben zu lassen. Die Alten toben sich hingegen am liebsten auf ihren meterlangen Gemüsebeeten aus. Das Verständnis von Spaß ist halt unterschiedlich. Schauergeschichten aus dem Schrebergarten gibt es auch: Gegenüber der Parzelle 95 wohnte der alte Hinkebein, so nennt Andy ihn. Der schlief jede Nacht in seinem Garten und passte auf, dass keiner einbrach. Er trank auch sehr viel. Eines Tages wurde er tot im Garten aufgefunden. Ein trauriges, wenn vielleicht auch passendes, Ende für den alten Hinkebein.

Um das Schrebergartenklischee noch zu vervollständigen: Es gibt sehr viele Regeln für Schrebergärten, die im Bundeskleingartengesetz gesammelt werden. Hecken dürfen zum Beispiel nicht höher als 1,25 m sein. Ein Drittel der Fläche muss mit Gemüse und Obst bepflanzt werden. Und so weiter. Leute, die sich nicht an diese Vorschriften halten, müssen bei Auszug alles wieder abreißen. So war es auch beim Vor-Vorbesitzer von Parzelle 95, der sich wohl an irgendwelche der Bestimmungen nicht bis auf den Quadratzentimeter genau gehalten hatte. Das komplette Badezimmer musste er deswegen wieder rausreißen. Stattdessen steht da nun eine Art Plumpsklo mit Vorhang. Dankeschön, Bundeskleingartengesetz.

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