Berlin,  Gefunden,  Journalismus

Bist du besonders?

Das „schlimmste Kinderbuch“ aller Zeiten ist nach Lisa Eckhart der “Regenbogenfisch”.

Meine Kinder haben das Buch nicht, kennen es aber aus der Kita. Die Geschichte ist wirklich süß, ein Glitzerfisch schenkt den Fischen ohne Glitzerschuppen seine, bis er selbst nur noch eine hat. Dafür ist er nun nicht mehr alleine, sondern glücklich, weil er viele neue Freunde hat. Eigentlich eine schöne Geschichte über das Teilen.
Sie lässt sich aber auch anders lesen: „Und der Regenbogenfisch reißt sich seine bunten Schuppen aus … bis alle ein bunt-konformer Kotzstrahl sind… Besonders zu sein, ist heute nur dann gestattet, wenn alle gleich besonders sind.So skizziert Lisa die Geschichte auf ihre lustige und bös-sarkastische Art und Weise. Die Bezeichnung „bunt-konformer Kotzstrahl“ gefällt mir schon mal sehr gut. Ich werde sie in meinen Wortschatz aufnehmen und bei passender Gelegenheit fallen lassen (ok, vielleicht nicht auf dem Spielplatz).
Davon abgesehen wirft Lisas Stück Fragen auf: Wie individuell ist unser Individualismus heutzutage wirklich? Wenn jeder besonders ist, sein darf und eigentlich auch sein muss – ist das dann nicht schon wieder Gleichmacherei und Gruppenzwang? Denn ich sehe weniger das Problem darin, dass die Besonderen in unserer Gesellschaft nicht besonders sein dürfen – das ist definitiv einfacher als vor ein paar Jahrzehnten. Ich habe eher das Gefühl, dass wir alle unbedingt besonders sein müssen. Zumindest in Berlin bekommt frau schnell den Eindruck, dass es nicht reicht, einfach irgendwas zu arbeiten, es muss schon echt kompliziert und irgendwie genial sein. Darf ich überhaupt noch einen stinknormalen Job haben, ohne mich im Gespräch dafür entschuldigen zu müssen? Darf ich keine Karriere-Ambitionen haben? Und was ist mit langweiligen Hobbies oder einem nullachtfünfzehn Leben? Ich bin ja selbst ein Kind des Zeitgeists und trinke z.B. ungern „stinknormalen Filterkaffee“, es muss schon der richtige Latte macchiato mit dem richtigen Milchschaum aus einem der wenigen richtigen Cafés sein. Auch kann ich nicht einfach in ein Möbelhaus gehen und eine Lampe aussuchen, sondern benötige stundenlange Online-Recherchen, um irgendwann zu einem passablen Kauf-Ergebnis zu kommen.

Das bezieht sich vor allem auf die Dinge, die ich konsumiere. Für meinen Alltag und in meinem Job hätte ich gerne ein bisschen weniger Erwartungsdruck in Sachen Besonderheit. Ohne Fünf-Jahres-Karriere-Plan, ohne Verkaufsstrategie mit ausgearbeitetem unique selling point. Ohne ausgefallene Hobbies, weder für mich noch für meine Kinder. Ich will einfach schreiben und Spaß daran haben. Nach der Kita möchte ich mit meinen Kids nicht zum Ballett, nicht zum Fußball und auch nicht zur Musikschule. Sondern rumgammeln. Das besonders sein verschiebe ich auf später. Vielleicht habe ich irgendwann mehr Energie dafür.

>> Für alle, die sich den tollen Beitrag von Lisa Eckhart anschauen möchten, hier der Link.

 

Foto: Unsplash

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