Berlin,  Familie,  neugierig auf

Quarantäne oder nicht? Das ist hier die Frage.

Die Tagesmutter meiner Tochter erkrankte an Corona. Bis wir Eltern erfuhren, was zu tun war, waren wir tagelang verunsichert und schlecht informiert. Laut Berliner Senatsverwaltung werden zurzeit die Kontaktpersonen der Corona-Infizierten ermittelt, kontaktiert und isoliert. In unserem Fall konnten wir nichts davon feststellen.

 

Freitag, 13.03.20
Meine kleine Tochter geht in eine Kinder-Tagespflege bei zwei Tagesmüttern in Berlin-Friedrichshain. Mich erreicht abends der Anruf von Tagesmutter X, dass bei Tagesmutter Y der Verdacht auf Corona-Virus besteht und sie getestet wird. Trotz Verdachts wird nicht geplant, die Tagespflege zu schließen. Berlin beschließt am gleichen Tag ab Dienstag, den 17.03. Kitas und Schulen zu schließen. Kindertagespflegen sind erst einmal von der Regelung ausgenommen.

Sonntag, 15.03.20
Der Chat in unserer WhatsApp-Gruppe der Eltern der Tagespflege läuft nun schon seit Tagen heiß. Vor allem wird darüber spekuliert, ob die Tagespflege am Montag noch öffnen darf. Dann leitet eine Mutter die Nachricht von Tagesmutter X weiter: Kindertagespflegen werden nun auch geschlossen. Einige Eltern haben bereits sowieso beschlossen, ihre Kinder ab Montag zu Hause zu lassen.

Montag, 16.03.20

Dass das Gesundheitsamt aktiv wird, darauf warten wir vergeblich. Doch die Eigeninitiative der Eltern ist groß. Den ganzen Montag versuchen sie die Corona-Hotline Berlin zu erreichen oder das Friedrichshainer Gesundheitsamt. Die Aussagen sind widersprüchlich: Die Person bei der Berliner Corona-Hotline (030/90282828) rät einem Elternteil, dass sich Eltern und Kinder testen lassen müssen, weil sie direkten Kontakt zu einer Infizierten hatten. Ein anderes Elternteil erreicht nach 150 Anrufen endlich auch die Corona-Hotline. Ihm wird gesagt, dass alle zu Hause bleiben und warten sollen, bis sie vom Gesundheitsamt kontaktiert werden. Ein Kinderarzt rät, auf jeden Fall zu einer Teststelle im Krankenhaus zu fahren. Ein anderer Kinderarzt rät, auf jeden Fall zu Hause zu bleiben und die Corona-Hotline anzurufen.

12:01 Uhr: Eine Familie fährt in die Teststelle des Evangelischen Krankenhauses in Berlin-Lichtenberg und wird wieder nach Hause geschickt, weil das Kind keine Symptome zeigt. Keiner versteht so richtig warum. Sie wurden weder in der Teststelle noch von der Corona-Hotline darüber aufgeklärt, dass ohne Vorliegen von Symptomen ein Testergebnis nur begrenzte Aussagekraft hat und daher nur Tests bei Personen mit Symptomen durchgeführt werden.

13:29 Uhr: Eine Familie erreicht das Gesundheitsamt in Friedrichshain. Ihnen wird gesagt, dass sie nicht für den Fall verantwortlich sind, da die erkrankte Tagesmutter in Pankow wohnt. Wir sollen das Gesundheitsamt Pankow anrufen.

15:13 Uhr Eine weitere Familie fährt mit ihren zwei Kindern zur Teststelle im Krankenhaus. Da sie in den letzten Wochen starke Grippe-Symptome hatten und noch nicht wieder ganz gesund sind, werden sie getestet. Allerdings nur zwei aus der Familie. Sie sollen selbst entscheiden, wer getestet wird. Die Mutter berichtet von dramatischen Szenen in der Teststelle. Menschen betteln lautstark darum, getestet werden zu dürfen und werden abgewiesen.

 

Dienstag, 17.03.20
11:24 Uhr: Eine andere Familie wird vom Gesundheitsamt Friedrichshain zurückgerufen: Sie sollen sich 14 Tage lang selbst isolieren und auf Symptome achten. Auch sie wurden nur angerufen, weil sie sich vorher gemeldet hatten.

14:23 Uhr:
Das Gesundheitsamt Friedrichshain kann einer anderen Familie am Telefon nicht sagen, ob sie sich in Quarantäne begeben soll oder nicht. Das Gesundheitsamt Pankow sei verantwortlich.

18:56 Uhr: Wir erfahren, dass das Gesundheitsamt in Pankow Tagesmutter X heute anrief und mitteilte, dass alle Kinder und Eltern, die bis zum 12.03. mit Tagesmutter Y Kontakt hatten (ihr letzter Arbeitstag), sich bis zum 26.03. in Quarantäne begeben müssen. Das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg würde sich morgen bei uns allen melden und die Quarantäne anordnen.

 

Mittwoch 18.03.20
Heute und auch die nächsten Tage meldet sich keiner vom Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg bei uns Eltern. Allerdings reagiert das Gesundheitsamt Pankow auf E-Mails und ruft eine Familie zurück. Sie müssen nicht in Quarantäne, da ihr Kind am 6. März das letzte Mal Kontakt zu Tagesmutter Y hatte. Nun sind alle restlos verwirrt. Wenn doch mit einer 14-tägigen Inkubationszeit gerechnet wird, wie kann das sein?

 

Donnerstag 19.03.20
Vier Tage nachdem der Corona-Virus-Test der Tagesmutter positiv ausfiel, werde ich endlich vom Gesundheitsamt Pankow aufgrund meiner E-Mail zurückgerufen. Auch mir wird gesagt, dass  wir nicht in Quarantäne müssen, da meine Tochter das letzte Mal am 3. März Kontakt zu der Tagesmutter hatte. Ich bin misstrauisch, die Dame am Telefon kann mir den Grund dafür nicht glaubhaft vermitteln. Also recherchiere ich und finde endlich heraus warum. In dem NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ erklärt der Virologe Professor Christian Drosten in der Folge 16, dass nach aktuellen Erkenntnissen die Infektiosität bei symptomatischen Patienten erst ca. einen Tag vor Symptombeginn beginnt. (In Folge 20 fügt er hinzu, dass sie eher 2,5 Tage vorher startet) Das heißt, es kann zwar 14 Tage lang dauern, bis die Krankheit ausbricht, wenn sie aber ausgebrochen ist, war die Person nur kurze Zeit vorher ansteckend gewesen. Das konnte ich nirgendwo im Internet lesen, nicht beim Robert Koch Institut, nicht auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit. Ich musste sämtliche Abschriften eines Podcasts durchforsten, um darauf aufmerksam zu werden. Warum ist diese Info kaum zu finden? Keiner von uns Eltern wusste über diesen Sachverhalt Bescheid und keiner der Menschen, mit denen ich darüber bisher geredet habe.

(Zitat Christian Drosten, Podcast Coronavirus-Update, Folge 16)
(Zitat Christian Drosten, Podcast Coronavirus-Update, Folge 20)

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 20.03.20
Gestern (6 Tage nach dem Corona-Verdacht und 3 Tage nach Bestätigung des Verdachts) wurde die nicht infizierte Tagesmutter endlich vom Gesundheitsamt Friedrichshain kontaktiert. Sie und alle Kinder, die bis zum 12. 3. in der Tagespflege waren, sollen für 14 Tage in Quarantäne. Angeblich wurden alle betroffenen Eltern darüber informiert. Zwei Familien melden zurück, dass sie nicht kontaktiert wurden. Sie lassen ihre Kinder trotzdem vorsorglich zu Hause. Zum Glück geht es allen soweit gut, die Kinder zeigen keine Symptome, Tagesmutter Y hatte allerdings mit Atemnot zu kämpfen.

Dienstag, 24.03.20 Tagesmutter Y geht es wieder besser. Tagesmutter X zeigt bisher keine Symptome, alle freuen sich über die guten Nachrichten. Der Virus allerdings tobt weiter in Deutschland herum.

Wir (die Eltern der Kinder in der Tagespflegestelle) wurden nur auf Eigeninitiative von ratlosen Gesundheitsämtern kontaktiert und nicht ausreichend informiert. Die Corona- Hotline erzählte uns etwas anderes als das Gesundheitsamt, die Gesundheitsämter kommunizierten nur schlecht untereinander. Wir fühlten uns allein gelassen. Bei allem Verständnis für die aktuelle Überlastung: So bekommen wir das Virus nicht unter Kontrolle.

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